25 Jahre Freiwilligen-Zentrum Wiesbaden

Teil 19: 2022 – Neue Herausforderung: Ukrainehilfen, FWZ = Anlaufstelle „für alles Mögliche“, Ernüchterungen zur lokalen Engagementpolitik

Freiwilligenarbeit im Wandel: Corona-Folgen und neue Arbeitsformen prägen das Engagement

Die seit März 2020 bestehenden Beeinträchtigungen der Freiwilligenarbeit durch die Corona-Pandemie setzten sich auch 2022 noch weiter fort, wenn auch in geringerem Ausmaß. Im Verlauf des Jahres war Corona weitaus weniger bedeutsam als in den beiden Vorjahren, so dass sich Interessierte (fast) wieder uneingeschränkt engagieren konnten. Fast alle Einrichtungen waren wieder erreichbar, und auch viele Veranstaltungen fanden wieder zunehmend in Präsenz statt. Im Vergleich zur Vor-Corona-Phase war die Praxis der Freiwilligenarbeit deutlich geprägt durch den Versuch, eine möglichst gute Kombination von Online- und Offline-Angeboten zu realisieren. Die schon 2020 im FWZ begonnenen Bemühungen, die Beeinträchtigungen durch die Corona-Folgen durch neue Arbeitsformen aufzufangen, wurden fortgesetzt und intensiviert (z.B. im Projekt „Eintagswerk“/Kurzzeitengagement, „Engagement-on-Tour“/Video-Reihe, Online-Veranstaltungen). Gegenüber der Vor-Corona-Zeit hatte sich im gesamten Feld des bürgerschaftlichen Engagements und der Freiwilligenarbeit aber vieles verändert.

Neue Herausforderungen für die Freiwilligenarbeit: Vom Corona-Krisenmanagement zur Ukraine-Hilfe

War die Corona-Krise mit ihren vielfältigen Auswirkungen 2022 halbwegs bewältigt und überstanden, so ergaben sich durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Folgen ab dem 21. Febr. neue Herausforderungen auch für die Freiwilligenarbeit. Starke Zuwanderungen von Geflüchteten in den Folgemonaten, ihre Unterbringung und Versorgung und die längerfristigen Aufgaben der Integration (Sprachvermittlung, Bildung in Kitas und Schulen, Wohnungsversorgung, Arbeitsmöglichkeiten, Alltagshilfen etc.) erforderten schnelle Reaktionen. Wiederum war das FWZ in besonderem Maße gefordert: auf der FWZ-Homepage wurden schnell Ukraine-Hilfe-Seiten eingerichtet, mit Informationen zu Hilfebedarfen und möglichen Hilfeleistungen durch Bürgerengagement. Hunderte von Hilfs- und Engagementbereiten wurden informiert und beraten, viele Sachspenden und Hilfeleistungen wurden angenommen, koordiniert und weitergeleitet, Sprachkundige und Übersetzer:innen wurden vermittelt, z.B. an die Wiesbadener Erstaufnahmestelle. Trotz weiter anhaltendem Krieg in der Ukraine verlangsamte sich der Zustrom von Geflüchteten nach dem Sommer, so dass schnell gestartete Projekte der Ukraine-Hilfen und Koordinierungsbedarfe zurückgingen und allmählich auch wieder andere Engagementprojekte und -aktivitäten zum Tragen kamen. Die zahlreichen „neuen Hilfsakteure“ und viele Organisationen im Bereich der Ukraine-Hilfen wurden aber weiterhin intensiv unterstützt, z.B. der „Runde Tisch Ukraine“ und städtische Ämter und Stellen.

Gesellschaftliche Herausforderungen verändern stets auch Bürgerengagement. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Zuwanderungen, Klimawandel, Digitalisierung etc. verdeutlichen, dass in Zeiten ausgeprägter Krisen und gesellschaftlicher Herausforderungen auch Form und Intensität bürgerschaftlichen Engagements nicht unberührt bleiben. In den Aktivitätsfeldern und Engagementbereichen gibt es Verschiebungen, es verändern sich die Zahl aktiv Engagierter und ihre soziodemographische Zusammensetzung, die Engagementformen (zunehmend auch digital) und Intensität und zeitliche Dauer des Engagements (häufigere Wechsel und mehr Kurzzeitengagement). Für die Freiwilligenarbeit insgesamt und für das FWZ ergeben sich daraus laufend neue Anforderungen: schnelle und unbürokratische Reaktionen auf neue Hilfe- und Unterstützungsbedarfe, neue Themenschwerpunkte und Angebote, wachsende Aufgaben der Informationssammlung, -aufbereitung und -vermittlung an verschiedene Zielgruppen über unterschiedliche Medien, spezifische Fortbildungsangebote für Engagement-Interessierte und aktiv Engagierte, vermehrte Aufgaben der Koordinierung, Vernetzung und Kooperation mit vielen unterschiedlichen Akteuren in Stadt, Land und Bund, fachlicher Austausch und Abstimmungen mit vielen Kooperationspartnern etc. Vor diesem Hintergrund wurde das FWZ in den letzten Jahren zu einer Anlaufstelle „für alles Mögliche“, zu einem wichtigen Akteur und Koordinator und einem Kooperationspartner für immer mehr Organisationen.

Leistungsbilanz 2022: Erfolgreiche Engagementförderung und Ausbau der Kooperationen

In der Leistungsbilanz des FWZ 2022 schlägt sich die Bedeutungszunahme mit den vielen Funktionen deutlich nieder: 209 neue Engagement-Angebote wurden im Verlauf des Jahres in die Datenbank aufgenommen, rund 250 offene Angebote standen Ende des Jahres zur Auswahl. 1.489 Engagement-Interessierte wurden beraten, 2.369 konkrete Engagement-Angebote bzw. -Empfehlungen wurden an interessierte Freiwillige ausgegeben (zum Kennenlernen, „Reinschnuppern“ und Ausprobieren, für aktives Engagement), 789 neue Freiwillige wurden in 2022 registriert (davon viele Freiwillige im Themenfeld „Ukraine-Hilfen“). In 73 Organisationen wurden neue Einsatzmöglichkeiten gefunden, dazu wurden 648 Gespräche durchgeführt (Informationen, Beratungen, Unterstützungen), mit 28 Organisationen wurden neue Kooperationspartnerschaften begründet und dazu 335 Gespräche durchgeführt und gemeinsam Engagement-relevante Themen verfolgt. Die Zahl der mit dem FWZ kooperierenden Organisationen stieg auf 480 an. Neue Impulse für mehr Engagement wurden ausgelöst durch die Teilnahme von 550 Personen bei externen Veranstaltungen („Markt der Hilfe“, Stadtfest Wiesbaden, CoronArts-Festival, Freiwilligentag, Vorlesetag, Weihnachtsbörse). Im Hessischen Qualifizierungsprogramm wurden 44 Maßnahmen zur Qualifizierung von Wiesbadener Freiwilligen durchgeführt, bei denen 360 Freiwillige qualifiziert wurden; dazu wurden über 16.500 Teilnehmer-Qualifizierungsstunden durch das Land Hessen gefördert, für die 12.565 € über das FWZ an die Maßnahmenträger der Qualifizierung ausgezahlt wurden.

Ausbau der Online-Präsenz und Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit des FWZ

Nicht nur die Präsenz und Sichtbarkeit des FWZ bei vielen (öffentlichen) Veranstaltungen wurde 2022 weiter verstärkt, sondern auch die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit wurde weiter ausgebaut, um die Bekanntheit weiter zu erhöhen, Interessierte zu informieren, zu motivieren und als neue aktiv Engagierte zu gewinnen. Dazu wurden insbesondere die Online-Aktivitäten erneut erweitert (4 Homepages, Online-Engagementbörse, Social Media, Newsletters). Auf Facebook und Instagram wurden 2022 298 Beiträge gepostet, 2.482 Follower wurden verzeichnet. 20 Newsletters wurden im Verlauf des Jahres versandt (58 % Opening Rate). Auf der Website www.freiwillig-in-wiesbaden.de gab es 110.000 Seitenaufrufe (davon allein ca. 40.000 auf die Ukraine-Hilfeseiten im Febr./März 2022), 38.356 Besucher konnten verzeichnet werden. In der Reihe „Engagement on Tour“ wurden in Kooperation mit LOOK Video & Film 5 neue Videobeiträge produziert (MOJA, Chamäleon, SKF, Künstlerverein Walkmühle e.V., Kinder- und Jugendtelefon) und eingestellt. Freiwilligen-Zentrum Wiesbaden e. V. – YouTube

Fortsetzung und Ausbau der Fachstellenarbeit im FWZ

Die Aktivitäten der 3 Fachstellen wurden 2022 intensiv fortgesetzt. Die Fachstelle Mentoring (Leitung: Rita Brechtmann) betreute, begleitete und unterstützte 39 Paten- und Mentoring-Projekte mit ca. 600 Ehren-amtlichen. Die Geflüchteten aus der Ukraine führten zu neuen Bedarfen in schon laufenden Projekten, zusätzlich wurde für diese Zielgruppe ein neues Patenprojekt eingerichtet. Die Fachstelle war Mitorganisator des ersten „Fachtags Rhein-Main für Mentor:innen“, bei dem es um Information, fachlichen Austausch und weitere Vernetzung ging. Die wachsende Bedeutung von Mentoring für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zeigte sich auch in der Gründung des „Bundesverbands Soziales Mentoring“, dem auch die Wiesbadener Fachstelle beitrat. Die Fachstelle „Engagement in der Kultur“, die Wiesbadener Kultureinrichtungen mit kulturinteressierten Freiwilligen zusammenbringt, wurde ab 15. März 2022 von Jörn Dauer geleitet. Mit der Website www.engagement-in-der-kultur.de und dem Facebook-Auftritt werden ausführliche Informationen über aktuelle Bedarfe und Angebote an kulturinteressierte Freiwillige vermittelt. Die Veranstaltungsformate „KulturGENUSS“ und „KulturBAZAR“ bieten einen Überblick über die Angebote und ermöglichen Interessierten Einblicke in viele Kultureinrichtungen. 2022 waren 71 Kultureinrichtungen gelistet, 55 neue Engagement-Angebote im Kulturbe-reich wurden erschlossen, ca. 5.200 Besucher:innen auf der o.g. Website konnten verzeichnet werden. Die Fachstelle „Jung und engagiert in Wiesbaden (Leitung: Sandra Agel, unterstützt von Jasmina Balsys und Anna Lutz) informiert und berät junge Menschen zwischen 14 und 21 Jahren zu Möglichkeiten freiwilligen Engagements. Mehr als 200 Engagement-Möglichkeiten konnten für diese Zielgruppe angeboten werden. Dafür wurden mehr als 600 Jugendliche an 7 Schulen informiert. 50 davon nahmen danach eine telefonische oder persönliche Beratung im FWZ wahr. Zudem entstand gemeinsam mit jugendlichen Freiwilligen ein Videofilm, der Motivlagen von Jugendlichen und auch tatsächliches Engagement von jungen Menschen in verschiedenen Bereichen erfasste (auf dem Youtube-Kanal eingestellt). Außerdem bildete sich ein aktives „Team Ehrenamt“ mit Jugendlichen.

Nachhaltige Rückkehr zu Normalität: Erfolgreiche FWZ-Aktionstage 2022

Corona-Folgewirkungen zeigten sich auch 2022 noch bei den FWZ-Aktionstagen. Nachdem die Freiwilligentage 2020 und 2021 nur unter erschwerten Corona-Bedingungen durchgeführt werden konnten, gab es 2022 fast wieder „normale Bedingungen“, aber nur ein sehr kleines Team von 6 Studierenden der Hochschule Rhein-Main, die die komplette Planung, Organisation und Durchführung des Freiwilligentags am 3. Sept. 2022 managten– wiederum als Service-Learning-Projekt. Sie entwickelten ein neues Logo unter dem Motto „Gemeinsam sind WIR stark!“. Mit bewundernswertem Engagement gelang es dem kleinen Team erfolgreich, einen abwechslungsreichen Aktionstag zu organisieren: bei 18 Tagesprojekten in verschiedenen Einrichtungen konnten 151 Freiwillige sich einbringen und Möglichkeiten des freiwilligen Engagements kennenlernen. Sehr erfolgreich war auch wieder der Vorlesetag 2022. Das FWZ-Team (Leitung: Anna-Maria Leibbrand, unterstützt von Elli Eggers, Dr. Lutz Kuntzsch, Samira Schwarz) konnten mit vielen Kooperationspartnern in Kitas, Schulen, Kirchen, Alten- und Kultureinrichtungen 60 Leseevents organisieren. Ein besonderes Highlight war die hybride „Lesebrücke“ mit den Wiesbadener Partnerstädten Görlitz und Breslau, bei der 14 Aktive in 2 Sprachen viele Textarten von Roman über Klassik und Märchen bis zu eigenen Werken einbrachten. Das ehrenamtliche FWZ-Team war 2022 letztmals Hauptorganisator des Vorlesetags; diese Aufgabe wurde dann an die Mitinitiative e.V. abgegeben (als Kooperationspartner bleibt das FWZ weiterhin beteiligt). Für die sehr vielfältigen Aktionen bei den Vorlesetagen hatten die Initiatoren des bundesweiten Vorlesetags (DIE ZEIT, Stiftung Lesen, Deutsche Bahn-Stiftung) gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund Wiesbaden mehrfach als besondere „Vorlesestadt“ ausgezeichnet: 2014 „Außergewöhnliche Vorlesestadt“, 2020 „Aktive Vorlesestadt“, 2021 „Nachhaltige Vorlesestadt“.

Eintagswerk und E-Lotsen: Flexibles Engagement und Netzwerkaufbau im FWZ

„Eintagswerk“ ist die Anlaufstelle im FWZ (Leitung: Elke Verges), die auf viele Möglichkeiten des Kurzzeit-Engagements hinweist und „flexibel, unkompliziert und unbürokratisch“ deren Realisierung unterstützt. 2022 wurden 46 Angebote des Kurzzeit-Engagements beworben und 32 Newsletters versandt. 250 Interessierte meldeten sich beim „Eintagswerk“. „Mit wenig Zeit viel bewirken“ ist das Motto; der Erfolg des Projekts entspricht deutlichen Veränderungen im Engagementverhalten und einem zunehmenden gesellschaftlichen Bedarf.

Neben den schon seit Jahren etablierten Projekten in der Belle-WI-Beratung für barrierefreies Wohnen (Musterausstellung im Sauerland), der digitalen Lernbegleitung Chamäleon und dem Integrationsprojekt „Angekommen“ waren Wiesbadener E-Lotsen 2022 auch bei den Ukraine-Hilfen im Einsatz (Annahme und Sortierung von Sachspenden für einen Transport von Hilfsgütern, Einteilung ehrenamtlicher Übersetzer an der Wiesbadener Erstaufnahmestelle). In Vorbereitung der Eröffnung der neuen Servicestelle für Vereine und Initiativen konnte die bereits länger bestehende Gruppe für Vereinsberatungen um zusätzliche E-Lotsen erweitert werden. Die Website der E-Lotsen wurde vollständig neu gestaltet. www.elotsen-wiesbaden.de

Stärkung der Netzwerkaktivitäten: FWZ als Schlüsselakteur im Bürgerengagement

2022 waren FWZ-Mitarbeiter:innen und ehrenamtliche Vorstandsmitglieder in über 30 Gremien und Netzwerken aktiv. Mit dem Vorstand der Wiesbaden Stiftung erfolgte ein ausführlicher Austausch über Bürgerengagement in Wiesbaden, über Möglichkeiten der Zusammenarbeit und über gemeinsame Lobbyarbeit für Bürgerengagement. Neben dem Austausch auf Vorstandsebene (1 x pro Jahr) gab und gibt es zusätzlich Kontakte und Kooperationsgespräche auf der Ebene der Geschäftsführerinnen (nach Bedarf). FWZ-Geschäftsführerin Constanze Bartiromo wurde 2022 in den Vorstand der VHS Wiesbaden (als wichtigem lokalen Kooperationspartner) gewählt, ebenso in den Vorstand der Lagfa Hessen (Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen). In vielen Kontexten (z.B. Ukrainehilfen, Mentoring und Paten, Kultur, Altenarbeit, Integration) kooperiert das FWZ intensiv mit verschiedenen Stellen und Ämtern der LH Wiesbaden sowie mit anderen Trägern und etablierte sich dadurch weiter als wichtiger Netzwerkpartner und kompetente Experten für Bürgerengagement („die Profis fürs Ehrenamt“).

Stabile Personalstruktur und finanzielle Lage im FWZ 2022

Personal und Finanzen: Das FWZ-Team der Haupt- und Ehrenamtlichen war 2022 sehr stabil und hatte nur wenige Veränderungen. Nach dem Ausscheiden von Nora Gehlen übernahm am 15. März Jörn Dauer die Leitung der Fachstelle „Engagement in der Kultur“. Im Bundesfreiwilligendienst war Marie Pfaff aktiv. Im ehrenamtlichen Beraterteam kam Herbert Cartus neu dazu. Finanziell kam das FWZ 2022 ganz gut „über die Runden“. Der Jahresabschluss des Trägervereins wies bei Einnahmen von 446.013 € und Ausgaben von 439.976 € zum Jahresende einen Überschuss von 6.038 € auf. Der Betriebskostenzuschuss des Fördervereins an den Trägerverein betrug 2022 13.500 €. Der Personalkostenanteil an den Gesamtausgaben war mit 66 % geringfügig höher (2021: 65 %).